Adventskalender Türchen Nr. 13

13. Dezember

„Als hätte sie es gewusst“ von Kristine Bilkau

Er war gerade dreizehn Jahre alt und wollte zu einem Open-Air-Festival, das bis in die Nacht ging, einige Stunden Fahrt mit Bahn und Bus irgendwo auf dem Land. Seine Mutter fand diese Idee nicht gut, doch er überredete sie, dort würde er Schulfreunde treffen, sagte er, und ein Vater würde ihn im Auto nach Hause bringen. (…) Im Getümmel der Veranstaltung fand er seine Freunde nicht. Zuerst machte er sich keine Gedanken, die Konzerte waren wichtiger. (…) Er kämpfte sich bis ganz nach vorn an die Bühne, stand schmächtig wie er war, an der Absperrung. (…) Er trug Jeans und T-Shirt, sonst hatte er nichts dabei, keine Jacke, nicht viel Geld, er dachte an nichts als die Musik. (…) Dann war das Festival vorbei. Es war gegen ein Uhr. Er hatte diesen Abend gehabt, diesen Rausch, gerade weil er allein gewesen war und niemand auf ihn aufgepasst hatte. Es fühlte sich abenteuerlich an, doch als die Menge sich auflöste, jeder zu wissen schien, wo er hin wollte, nur er selbst nicht, bekam er Angst. Die zertrampelte Wiese leerte sich, der Müll blieb zurück, Betrunkene grölten, plötzlich war er nur noch ein frierendes Kind, fehl am Platz. Er wusste nicht, ob noch ein Zug fuhr. Es waren einige Kilometer zum Bahnhof, er würde zu Fuß gehen müssen, allein warten, vielleicht bis morgens warten. (…) Er weiß noch, wie er im Strom der Leute zu einem der Ausgänge trieb und von der Drehtür ausgespuckt wurde. (…)
Da sah er seine Mutter. Sie stand nur ein paar Meter von ihm entfernt und wartete. In Lackschuhen und mit einer Strickjacke über den Schultern, wegen der kühlen Nacht. Er hatte sie nie vorher Auto fahren sehen, er wusste nicht einmal, dass sie einen Führerschein hatte. Doch in dieser Nacht war sie losgefahren, als hätte sie alles vorher gewusst. Das große Gelände hatte mehrere Ausgänge, es hätte so viele Möglichkeiten gegeben, sich zu verfehlen, doch sie stand genau dort, wo er rauskam. “Und, war es schön?”, fragte sie ihn nur und nahm ihn an der Hand.
Das war er, der Moment, der für seine Kindheit steht.

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